Ambositra und die Zafimaniry

2110 – Ambositra und die Zafimaniry Ethnien

Ambositra liegt etwa 1’280 m über dem Meeresspiegel im zentralen Hochland und ist 260 km von der Hauptstadt Antananarivo entfernt.


In fast allen Regionen Madagaskars hat das Zebu eine kulturelle und eine wirtschaftliche Bedeutung. Aber besonders bei der Betsileo-Volksgruppe ist das Buckelrind Symbol für Reichtum, Tüchtigkeit und Wagemut, auch eine Versicherung gegen Hunger oder Notzeiten. Lohnenswert ist es, einen Abstecher zu den Zafimaniry-Dörfern zu machen, denn ihre Häuser aus Edelhölzern mit den verschiedenen Ornamenten sind einmalig.

Ambositra bedeutet wörtlich übersetzt “wo es viele Rinder gibt, oder wo die Zebus kastriert sind“. Die Insel Madagaskar gehört zu den viehreichsten Ländern im afrikanischen Raum und hier im Betsileo-Land hat die Kultur der Zebuhaltung einen spürbaren Zusammenhang mit der Rinderzucht auf dem nahen afrikanischen Kontinent. Das Zebu wird als Buckelrind bezeichnet (Bos taurus inidicus) (auf madagassisch “omby“) und ist von den ostafrikanischen Einwanderern bzw. den Bantu-Leuten vor vielen Jahrhunderten nach Madagaskar eingeführt worden. Noch heute stammen die Bezeichnungen für Fellfarbe, Hörnerstellung und Tierhaltung aus Wörtern der Bantusprachen. Eine andere Legende erzählt, dass die madagassischen Zebus von den “heiligen Kühen“ aus Indien abstammen.

Das Zebu ist das wichtigste Tier aller Volksgruppen in Madagaskar. Die frei weidenden Zebus gehören zum typischen Landschaftsbild überall auf der Insel. Fast jeder Bauer in ganz Madagaskar hält sich ein paar Buckelrinder. Die Viehzucht spielt wirklich eine unverzichtbare Rolle im Alltagsleben. Die Tiere dienen in erster Linie als Freund der Menschen, auch als wichtiges Arbeitstier. Als Zugtiere für die mühsame Ackerbestellung müssen sie die schwere Arbeit auf dem Reisfeld verrichten: den Pflug, die Egge, die schweren Zebukarren ziehen oder die Reisfelder weich stampfen. Die Karren sind die üblichen und praktischen Transportmittel zwischen den abgelegenen Dörfern mit Schotterpisten. Sie transportieren das ganze Jahr über Ernte, Viehfutter, Dünger oder die verschiedenen Produkte und Lebensmittel zum Dorf oder zum Markt. Sie sind sogar Transportmittel für die Familienangehörigen oder für die Kranken in den entlegenen Dörfern, denn die Taxi Brousse fahren nicht überall hin.

Das Rind ist zweifellos auch der Mittelpunkt der madagassischen Kultur in vielen Regionen. Besonders im Süden Madagaskars ist das Zebu ein Symbol des Wohlstandes. Je grösser die Herde ist, desto höher ist das Ansehen der Familie. Die Anzahl der Tiere zählt in erster Linie für die Madagassen, erst in zweiter Linie kommen die Rasse der Zebus, ihre Grösse, ihre Farben, ihre Höckerform und natürlich auch ihre Zeichnungen. Für die soziale Verbindung dient das Zebu in der Region von Tulear als Brautgeld. So wie bei den Massai-Hirten in den ostafrikanischen Ländern, sind die Zebus in Madagaskar auch ein bevorzugtes Opfertier für bestimmte Anlässe: bei der Grundsteinlegung eines Neubaus oder einer Grabstätte, bei einer Hochzeit, bei der Beerdigung, beim Famadihana-Fest (Totenfest). Das damit verbundene Gemeinschaftsmahl gehört zu Sitte und Brauch bei diesen Familienzeremonien. Die Zebus werden dann als Opfer geschlachtet und ihr Blut verbindet die Lebenden mit den verstorbenen Vorfahren.


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Im Süden Madagaskars beim Bara Volkstamm war es traditionellerweise üblich, dass ein junger Mann erst heiratsfähig war, wenn er es schaffte, ein paar Zebus zu stehlen. Diese Sitte wurde dann als eine Kraftprobe bezeichnet, denn für diesen Volkstamm galt: “ein Mann ohne Herde ist kein Mann“. Diese Tradition wird heute nicht mehr praktiziert, denn dieser Brauch führte damals zu massivem Viehdiebstahl und wurde zu einem nationalen Problem.

Das Zebu ist natürlich ein wichtiger Fleischlieferant, doch es ist hier in Madagaskar nur ein schwacher Milchproduzent im Vergleich zu den europäischen Kühen. Die grossen Viehherden im Süden und im Westen beliefern die Hauptstadt, aber auch ganz Madagaskar mit Fleisch. Herden von mehreren hundert Tieren bewegen sich wochenlang vom Süden bis ins Hochland. Heute wird der Transport meist durch Lastwagentransporte abgelöst. Das Fleisch der frei laufenden Zebus schmeckt ausgezeichnet und wird zum Teil von der Nachbarinsel Mauritius und den Komoren importiert. Das Zebufleisch ist der Hauptbestandteil für das typische madagassische Nationalgericht „Romazava“. Es geht hier um einen beliebten Eintopf gemischt mit verschiedenem Grünzeug (Wasserkresse, Chinakohl usw.) in öliger Sauce mit Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch und Ingwer. Ein Gaumenschmaus für Feinschmecker! Anderswo wird das Fell der Zebus zu Leder verarbeitet oder als Rohmaterial verkauft. Aus den Hörnern werden Schmuck oder Gebrauchsgegenstände hergestellt.

Die Betsileo-Volksgruppen in der Umgebung von Ambositra und im südlichen Hochland praktizieren auch heute noch “das Savika“, auf Deutsch „Stierkampf“. Es handelt sich hier um ein Ritual des “Mannwerdens“: eine gefährliche Mutprobe für die jungen Männer. Mit blossen Händen versuchen sie die stürmischen Stiere zu zähmen. Sie schlingen sich um den Hals oder auf den Buckel der Zeburinder, halten sich dort eine Zeit lang fest oder lassen sich mitschleifen. Wem dies gelingt, der gewinnt die feurigen Blicke der zuschauenden Mädels, denn Zebu symbolisieren bei diesem populären Volksfest Kraft, Stärke und vor allem Mut. Schliesslich bedeutet “Betsileo“ wörtlich“ zu zahlreich, um besiegt zu werden“ oder“ die Unbesiegbaren“. Diese Ethnie stammt so wie die Merina-Volksgruppe aus dem malaiisch-indonesischen Raum, dies ist erkennbar an ihrem glatten Haar und ihren asiatischen Gesichtszügen und sicherlich haben sie die Art des Reisanbaus von ihren Vorfahren mitgebracht.

Die zweite Bedeutung von Betsileo ist“ fleissig“. Zeugen davon sind die riesigen Reisterrassen auf perfekt gestalteten Etagen an den Hängen über den Dörfern. Eine Palette von Grüntönen prägen das Bild der Landschaft zwischen Ambositra und Fianarantsoa. Nicht umsonst werden sie als die “besten Reisbauern“ aller Volksgruppen bezeichnet. Der Reisanbau bestimmt den Lebensrhythmus der gesamten Bevölkerung. Schon über Jahrhunderte haben sie mit ungeheurem Arbeitsaufwand ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem für ihre Terrassenfelder angelegt. Berghänge wurden durch Terrassierungen und Bewässerung in Reisterrassen umgewandelt, Sumpf- und Wasserreis sind dann überall in kleinen Parzellen im Tal zu sehen. Reis ist natürlich auch ein Symbol des Wohlstandes in Madagaskar, wer viel Reis besitzt, hat überall einen hohen sozialen Status, denn der Reis ist teuer und die Reisernte deckt leider nicht für alle den Eigenbedarf für das ganze Jahr.

Ambositra ist eine ruhige kleine Stadt mit einem reichen Samstagsmarkt. An den zahlreichen Verkaufsständen sieht man auf diesem bunten Markt fast alles, was man im Alltag braucht: frisches Gemüse, Früchte in allen Variationen, Kräuter und Medizinpflanzen, Geflügel und Garküchen. Er ist auch ein Treffpunkt für die Bauern, um ihre Landwirtschaftsprodukte zu verkaufen. Die Dorfbewohner in der Umgebung müssen das Dorf kurz nach Sonnenaufgang verlassen, denn gegen Mittag müssen die Käufer und die Verkäufer wieder zu Fuss ins Dorf zurückkehren.

Wer früh nachmittags in Ambositra eintrifft, hat noch genügend Zeit, den sehenswerten Königspalast “Rova Tompon’Anarana“ in Begleitung eines ortskundigen Lokalführer zu besuchen. Dieser ehemalige Sitz des Betsileo-Königs liegt auf einem Hügel etwas ausserhalb der Stadt. Zu Fuss erreicht man dem Rova-Hügel in rund einer Stunde. Unterwegs hat man die Gelegenheit, die traditionell roten Lehmhäuser zu bewundern und den Alltag der Betsileo Bauern kennen zu lernen. Die Hochlandhäuser fügen sich perfekt in die grüne Landschaft ein und bilden einen leuchtenden Kontrast zu den umliegenden grünen Reisterrassen. Die zwei Königshäuser und das Grab des Königs sind interessante Sehenswürdigkeiten. Als Belohnung nach diesem abwechslungsreichen Marsch erhält man auf dem Hügel einen fantastischen Ausblick auf die umliegenden Dörfer und Reisfelder, schöne Fotos sind garantiert.

Ambositra und die Zafimaniry
Der Besuch von Antoetra, dem Zentrum der Holzschnitzkunst des Zafimaniry Stammes südlich von Ambositra erweist sich ebenfalls als interessant. Ausgangspunkt für den Besuch ihrer Siedlungsgebiete ist das Städtchen Ivato Centre auf rund 1’900 m über dem Meeresspiegel. Der Schotterweg über 25 km führt zum kleinen Dorf am Waldrand. Der Ursprung des Zafimaniry Volkstamms ist bis heute unklar. Eine Legende erzählt, dass sie Nachfahren von frühen arabischen Einwanderern sind. Zeugen davon sind ihre Gesichtszüge und ihre Holzschnitzkunst an Fenstern und Türen. Ihre geschmackvollen Holzarbeiten erinnern besonders an arabische und afrikanische Länder. Die zweite Version der mündlichen Überlieferung erzählt, dass sie ursprünglich von der Betsileo-Volksgruppe abstammen, die im 19. Jahrhundert vor der Merina-Königin Ranavalona I in die Wälder flohen, da sie frei sein und nicht als Sklaven arbeiten wollten.

Seit 2003 schafft dieser begabte Volkstamm einzigartige Holzschnitzkunst, eine Tradition, die zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Jedes Dorf hat natürlich seine eigenen Schnitzarbeiten, aber der Stil und die Motive bleiben die Gleichen und diese Handwerkskunst wird von Generation zu Generation weitergegeben. Die gastfreundlichen Zafimaniry zeigen den Besuchern gern ihre raffinierten Kunstwerke und die verschiedenen Handwerksprodukte wie Statuen, Schachfiguren, Kästchen. Auch zahlreiche Gegenstände des täglichen Lebens werden hergestellt wie Löffel, riesige Töpfe, alles aus Holz und manuell verarbeitet. Heutzutage wohnen mehr als zehntausend Zafimaniry-Seelen in den traditionellen Holzhäusern rund um Ambositra.

Ambositra und die Zafimaniry
Sie sind auch bekannt als sehr begabte Architekten, sie bauen merkwürdigerweise ihre Häuser ohne Nägel und Schrauben, alles wird gesteckt und geschickt ineinandergefügt. Ihre Hütten und Häuser werden ausschliesslich aus Natur-, sogar aus Edelholz gebaut. Fenster, Türen und Giebel sind oft mit auffälligen und traditionellen Motiven verziert, Tische und Stühle sind mit orientalischen Ornamenten versehen. Sie holen all ihre Ressourcen aus den tiefen Wäldern heraus: den leckeren wilden Honig, Holz zum Bauen, zum Schnitzen, und zum Heizen, natürlich auch die wertvollen Heilpflanzen gegen die üblichen Krankheiten.

Eine Wandertour durch ein Dorf dieses einzigartigen Volkstamms kann zwar ermüdend sein, aber es ist ein eindrückliches Naturerlebnis und die zahlreichen Begegnungen mit den Zafimanirys gehören zu den unvergesslichen Highlights für die Besucher.

Juli 2021, geschrieben von: Fanasina, PRIORI Antananarivo
Redigiert von Peter Elliker www.madagaskarhaus.ch

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