Chamäleon in Madagaskar

A 500 – Chamäleon in Madagaskar

Wohl kaum eine andere Echsenfamilie dürfte so bekannt und faszinierend sein wie die Chamäleons.


Dies liegt vor allem daran, dass sie mit ihrem Aussehen an “Miniatur-Saurier“ erinnern, aber auch an ihren zahllosen einmaligen Besonderheiten, wie dem sehr bekannten Farbwechsel, der Bewaffnung mit einer Schleuderzunge und den enorm beweglichen Augen. Chamäleons gehören zu den Reptilien, die in Madagaskar am häufigsten zu finden sind, so kann die Insel auch als “das Land der unzähligen Chamäleons“ bezeichnet werden, da mehr als die Hälfte aller bekannten Arten hier leben.

Das Verbreitungsgebiet der Familie der “Chamaeleonidae“ erstreckt sich über das Mittelmeergebiet, Afrika, die arabische Halbinsel, aber vor allem über die Inseln im Indischen Ozean, wie Madagaskar, die Komoren, die Seychellen, Mauritius und La Réunion. Auf der grossen Insel Madagaskar konnten sie aufgrund fehlender Feinde die grösste Artenvielfalt entwickeln. Rund 60% der Chamäleons auf Madagaskar sind endemisch. Auf der Insel leben etwa 60 Arten dieser Echsen, darunter auch die weltweit grössten und die Kleinsten.

Die auf Madagaskar vorkommenden Chamäleon-Arten werden in zwei Unterfamilien eingeteilt: zum einen die “echten Chamäleons“ bzw. die Familie “Chamaeleonindae“ mit der Gattung “Furcifer“ und der Gattung “Calumna“ (diese beiden Arten sind meistens mit bunten Farben vertreten) und zum anderen die Erdchamäleons oder die Stummelschwanzchamäleons, die zu der Familie der “Brookesiinae“ gehören. Diese kleinen Braunen leben versteckt in der Laub- und Krautschicht der Regenwälder.

Im Jahr 2007 entdeckten Wissenschaftler die kleinste Chamäleonart der Welt: Brookesia micra hat eine Körperlänge von nur 16 Millimetern und mit dem Schwanz eingerechnet sind es knapp 3 Zentimeter. Diese Reptilienart lebt in der trockenen Laubstreu der Wälder und ernährt sich von winzigen Insekten und Milben. Im Gegensatz zu den anderen Chamäleons ist der Schwanz der Brookesia kurz und kann nicht aufgerollt werden. Aus Angst vor ihren Feinden verbringen die Tiere den Tag vorwiegend in der Laubstreu auf dem nassen Boden und bei Einbruch der Dunkelheit erklettern sie dünne Zweige zum Schlafen.

Auch die “Brookesia minima“ gehören zu den kleinen Brookesia-Arten. Sie haben eine Gesamtkörperlänge von nur 34 Millimetern. Die Grundfärbung besteht aus verschiedenen Beige-Braun- oder Grüntönen. Sie bewohnen die Laubschicht der Restprimärregenwälder im Lokobe-Reservat auf der Insel Nosy Be, nordwestlich von Madagaskar.

Die “Furcifer oustaleti“ und die “Calumnia parsonii“ gehören mit über 70 cm Länge zu den grössten Chamäleon-Arten in Madagaskar. Sie leben im Geäst von Büschen und Bäumen und nutzen ihren langen Greifschwanz geschickt als Kletterhilfe. Diese beiden Arten sind häufig zu finden, denn sie bewohnen die offenen Savannenlandschaften, aber auch die lichten Wälder der warmen Regionen im Süden, Westen und Norden Madagaskars. Diese Chamäleonarten haben schöne, auffallende Farben, die Männchen verfügen über eine Tarnfärbung aus grauen und braunen Farbtönen, die Weibchen sind etwas farbenfroher mit gelben grünen und roten Farbtönen.

Es könnte kein treffenderer Name für diese Echsenfamilie gefunden werden, denn sie werden auch als “Löwe der Erde“ bezeichnet, “chamai“ bedeutet “auf der Erde“ und “Leon“ heisst “Löwe“. Im Laufe der Zeit haben sie sich an das Leben auf kleinen Gebüschen und Bäumen angepasst, ihre Hinterbeine haben sich zu Greifzangen umgeformt und zwei oder drei Zehen sind in einer Weise miteinander verwachsen, dass diese Reptilien die Äste fest und sicher umgreifen können. Zudem haben sie einen einrollbaren, muskulösen Greifschwanz, der – wie auch die Zunge – oft länger als der eigentliche Körper ist. Die Männchen (seltener die Weibchen) vieler Arten haben auffällige Körperstrukturen wie Nasenfortsätze, Hautlappen am Hinterkopf, “Helme“ auf dem Kopf oder an der Kehle.

Besonders faszinierend und einmalig sind die voneinander unabhängig beweglichen und grossen Augen, die weit aus dem Kopf herausragen. Das Sehfeld jedes Auges beträgt etwa 180° horizontal und 90° vertikal, was den Tieren einen Rundumblick ermöglicht. Die beiden Augen können sich unabhängig voneinander bewegen und auf diese Weise können die Chamäleons ihre gesamte Umgebung und besonders ihre Beute (Heuschrecken, Fliegen Insekten usw.) im Auge behalten, ohne den Kopf zu drehen und ohne durch Kopfbewegungen ihre eigenen Standorte zu verraten. Auf diese Weise behalten sie den Überblick auf ihre Beute. Dieses Verhalten ist sehr wichtig, denn das Leben im Geäst und in den lichten Wäldern ist sehr gefährlich, da die Chamäleons bei vielen Vogelarten, besonders bei den grossen Raubvögeln, auf dem Speisezettel stehen. Neben den Vögeln gehören auch die Schlangen zu den gefährlichen Fressfeinden dieser Reptilien. Tarnung durch Färbung und Verhalten ist für Chamäleons also lebenswichtig.

Die nächste Anpassung an diesen Lebensraum stellt die Schleuderzunge dar. Wenn das Chamäleon sein Beutetier sieht, schleicht er sich unmerklich und im Schneckentempo an und schiesst seine lange und klebrige Zunge gegen die Beute und kann sie so fangen. Die erfolgreiche Jagd spielt sich im Bruchteil einer Sekunde ab, sodass sie für das menschliche Auge kaum zu verfolgen ist.

Alle Chamäleons sind tagaktiv und ernähren sich hauptsächlich von Insekten, wie Heuschrecken und anderen Kleintieren. Auf Beutejagd bewegen sie sich mit pendelnden Bewegungen, die dem Schwanken eines Blattes sehr ähnlich sind und so können sie sich hervorragend vor ihren gefährlichen Feinden wie den Raubvögeln oder Raubtieren schützen. Sie sind sehr scheu und bei Annäherung eines Menschen drehen sie sich auf die andere Seite des Astes, um nicht aufzufallen und sie aktivieren gleichzeitig ihre Tarnfärbung.

Diese “Meister der Tarnung“ verbringen ihren Tag als “Lauerjäger“ auf ihrem Lieblingsast. Trotz auffallender Färbung gehört aber schon etwas Übung und Glück dazu, Chamäleons in der freien Natur auszumachen. Sie können sich schnell ihrer natürlichen Umgebung anpassen, so dass es nur selten oder nur dem geübten Augen gelingt, die Chamäleons im Laub und Geäst und die Brookesia am Boden zwischen den faulenden braunen Blättern auszumachen. Diese hervorragend getarnten Reptilien sieht man meistens nachts im Schein der Taschenlampe. Aber die geübten Augen der Lokalführer in den Reservaten und Parks können sie auch problemlos tagsüber entdecken.

Sieht man die prächtigen Chamäleons, müsste man meinen, dass diese Tiere überall sofort auffallen. Dies ist aber nicht der Fall. Ihre bunte Färbung sorgt für eine perfekte Auflösung der Konturen im Habitat. Der Farbwechsel dient nicht nur der Anpassung an die Umgebung, sondern die Chamäleons drücken auf diese Weise auch ihre Stimmung aus. Je nach Erregungszustand (Wohlbefinden, Krankheit, Angst usw.…) können sie schnell ihre Farben wechseln, bei Stress werden sie meistens dunkel. Diese Färbung hat auch eine weitere wichtige Bedeutung und zwar als “optische Sprache“, denn sie können ihre Färbung innerhalb von Sekunden stark abdunkeln, wenn sie sich ärgern, wenn beispielsweise zwei Einzelgänger sich zufällig begegnen. Die Erdchamäleons bzw. die Brookesia sind nicht zum Farbwechsel befähigt, sie zeigen den ganzen Tag eine dunkle, matte Färbung, meistens dunkelbraun wie die getrockneten Blätter.

Wie oben beschrieben besitzen die Chamäleons die Fähigkeiten, die beiden Augen unabhängig voneinander nach hinten, seitlich und nach vorne zu richten. Diese einmaligen Eigenschaften betrachten die Madagassen als Symbol für die Eigenheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. So gibt es ein madagassisches Sprichwort: „Machen Sie es wie das Chamäleon, mit einem Auge in die Vergangenheit blicken und mit dem anderen Auge in die Zukunft schauen“.

Die Chamäleons tarnen sich auch durch die Art ihrer Fortbewegung, sie setzen bedächtig einen Fuss vor den anderen und schaukeln vor und zurück wie die Bewegung der Blätter im Wind, dieses sogenannte Windschaukeln lässt sich besonders gut beobachten, wenn die Tiere eine Strasse oder Piste langsam überqueren. Sprichwörtlich ist das Chamäleon ein Begriff für eine “positive“ Personen geworden, die es versteht, sich in der Gesellschaft immer gut anzupassen.

Auch in der Mythologie und in den Legenden der Madagassen spielen diese Reptilien eine bedeutende Rolle. So gelten sie in einigen Regionen als Glücksbringer und in anderen Gegenden betrachten die Einheimischen sie als Unglücksboten, bei einer Volksgruppe sieht man in ihnen der Sitz der Seelen der Verstorbenen.

Wer Chamäleons oder andere Reptilien in der Natur beobachten möchte, dem sei ein Besuch in einem Regenwaldreservat und Nationalpark wie Andasibe oder Ranomafana empfohlen. Hier sind viele Reptilienarten vertreten, darunter die bizarren Plattschwanzgeckos (Gattung Uroplatus), die hellgrünen Tagesgeckos (Gattung Phelsuma), einige Arten Chamäleons wie der Calumna brevicornis. Die geübten Augen der Lokalführer erkennen diese Chamäleons auch nachts mit einer starken Taschenlampe, wenn sie schlafend auf kleinen Ästen sitzen.

Grosse Chancen, Chamäleons zu finden hat man auch auf der Parfüminsel Nosy Be. Die Pantherchamäleons (Furcifer pardalis) mit den schönen türkisgrünen leuchtenden Farben suchen gerne ihre Beute auf den Ylang Ylang-Bäumen. Die Weibchen dieser Arten sind kleiner und unscheinbarer und zeigen sich oft in grauen oder orangeroten Farbtönen. Trotz grosser Fortschritte in den letzten Jahren ist anzunehmen, dass noch neue Chamäleonarten von den Wissenschaftlern und Biologen in den Urwäldern, Bergen und Savannenlandschaft auf ihre Entdeckung warten.

Juni 2021, geschrieben von Bodo, PRIORI Antananarivo
Redigiert von Peter Elliker www.madagaskarhaus.ch

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