Schlagwort-Archive: Tsiafajavona

Andringitra Avaratra

1012 – Andringitra Avaratra

Andringitra Avaratra oder „Der zweite Gipfel von Analamanga“

Ein Tagesausflug nach Andringitra Avaratra eignet sich hervorragend für eine interessante Entdeckungsreise ausserhalb der lärmenden Hauptstadt Antananarivo.


Eine gut ausgebaute, neue Strasse führt zuerst in Richtung Flughafen Ivato, dann nimmt man eine staubige Piste nach Ambosifasina und beim Dorf Alatsinainy beginnt die Wandertour zum idyllischen, abgeschiedenen Ausflugsziel Andringitra Avaratra. Eine richtige Herausforderung für echte Wanderer!

Die Wandertour durch die auslaufende Hügelkette in der Region von Andringitra Avaratra, rund 30 km nordwestlich von Antananarivo führt durch das Kernland des Merina-Königreichs vor der Kolonialzeit. Die Geschichte des Andringitra Avaratra-Gebirges ist eng mit dem berühmten und respektierten König Andrianjaka verbunden.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts betrachtete der König Andrianjaka vom Gipfel dieses Hügels (1716 m ü. M.) sein Königreich Analamanga. Diese Region war mit Sumpf und Reisfeldern bestanden und unzählige strohgedeckte Dörfer duckten sich entlang der Hügelflanken. Aus dieser Bevölkerung rekrutierte Andrianiaka seine tausend Soldaten, um einen neuen Königsitz zu erobern. Seine Armee baute auf der höchsten Erhebung der Imerina-Region eine grosse Festung rund um die Rova (Königspalast), später entwickelte sich aus dieser Bergfestung die Stadt Antananarivo, ins Deutsche übersetzt “die Stadt der Tausend“.

Nicht weit von Andringitra Avaratra liegt der Hügel Miakotso, wo der legendäre König Andrianampoinimerina nach der Eroberung der Region einen Palast baute. Dieser adlige Herrscher, ein Zeitgenosse von Napoleon, schlichtete den Streit in der Königsfamilie und vereinte Imerina zu einem Königreich. Die Legende erzählt auch, dass die Geister der Vazimba, also der ursprünglichen Bewohner Madagaskars, in diesen Hügel bis jetzt herumirren würden. Das mythische „Songomby„, ein wildes und aggressives Tier so gross wie ein Zebu, lebte damals in den umliegenden Höhlen und Wäldern. Die Dorfbewohner getrauten sich nicht, sich diesen abgelegenen Orten zu nähern.

Rings um das Königreich von Imerina liegen die drei hohen Gebirgszüge des Hochlandes: das Massiv von Ankaratra, Andringitra Avaratra und Ambohimanoa. Ein madagassischer Spruch sagt: “Ankaratra und Andringitra wollten aufeinander zugehen, aber Ambohimanoa wurde dazwischen geschoben“. Ambohimanoa ist der dritte Gipfel weiter im Norden. Dieser Spruch symbolisiert zwei Menschen, die sich lieben und sich durch den Bund der Ehe vereinen wollen, doch die Eltern sind gegen diese Eheverbindung.

Der Berg Ankaratra mit dem heiligen Gipfel „Tsiafajavona„, wörtlich übersetzt, „wo sich der Nebel nie auflöst“ liegt rund 90 Kilometer südlich der Hauptstadt im zentralen Hochland und stellt mit 2642 m den drittenhöchsten Gipfel Madagaskars. Ausgangspunkt einer erlebnisreichen Wandertour in diese Bergwelt ist die Stadt Ambatolampy. Das Massiv von Ankaratra sollte nur mit einem kundigen Lokalführer begangen werden. Schnell auftretende Nebelbänke und Blitzregen sind sehr häufig und gefährlich. Das breite Vulkangebiet ist von einem fruchtbaren Saum umgeben. Die Zone gilt als die Gemüsekammer des Hochlandes. Nebst allen Arten von Früchten gedeihen verschiedene Nahrungspflanzen wie Maniok, Süsskartoffeln und Taro.
An den steilen Hängen dieses Gebirge wachsen unzählige Heilpflanzen und Kräuter, die immer noch eine wichtige Rolle in der Volksmedizin spielen. Kundige Pflanzenheiler verwenden diese Medizinpflanzen in ihrer traditionellen Naturheilkunde, einige pilgern noch immer regelmässig zu diesen heiligen Orten, die nach wir vor für animistische Opferriten genutzt werden.

Während der Herrschaft des berühmten Königs Andrianampoinimerina (1787-1810), dem Gründer der Merina-Dynastie, bildete dieses Vulkangebiet namens „Vakin‘ Ankaratra“ die südliche Grenze seines Königreichs.

Laut Legende lag das Dorf „Ambohitrakoholahy“ (Hügel des Hahns) am Fuss des Gebirges Ankaratra. Eines Tages kam die Tochter des Schöpfergottes Andriananahary auf die Erde und brachte einen Hahn und eine Henne. Der Hahn wurde für die Ahnen geopfert, aus seinem Kopf quollen Paddy-Körner, die ausgesät wurden und dies ergab den Reis, den die Madagassen bis heute essen.

Der dritte Hügel heisst Ambohimanoa, der sich etwa 40 km nordwestlich der Hauptstadt in Richtung der Nationalstrasse 4 befindet. Mit seinen mehr als 1557 m ü. M. überragt er die Höhen von Marovantana (die westliche Region von Imerina Königreich). Vom Gipfel hat man einen atemberaubenden Panoramablick auf den Fluss Ikopa und die Ebenen entlang des Flussufers. Am Fusse dieses Hügels wurde zur Zeit der Königin Ranavalona III. Gold abgebaut, aus dem auch ihre berühmte Krone gefertigt wurde. Dieser royale Kopfschmuck wurde leider aus dem Palast von Manjakamiadana gestohlen und ist bis heute verschollen.

Die Königin wuchs in dieser Region im ruhigen und abgelegenen Dorf Ambohimanoa-Manjakazafy auf. Bis heute ist es verboten, Schweinefleisch, Knoblauch und Zwiebeln auf den heiligen Hügel Ambohimanoa zu bringen.

Auch im literarischen Werk mit dem Titel: „Midona moramora“ (Es donnert sanft) tauchen diese drei oben genannten Gipfel mehrmals gemeinsam auf, ebenso in einem Werk des berühmten „Ny Avana Ramanantoanina“, einem madagassischen Dichter, Patrioten und Freiheitskämpfers aus der Zeit der Kolonisation.

September 2021, geschrieben von Michael, PRIORI Antananarivo

Antananarivo-Antsirabe

2000 – Antananarivo – Antsirabe

Heute verlassen wir das Verkehrschaos der Hauptstadt und über die welligen Hügel des Hochlandes bewegen wir uns auf der Nationalstrasse Nr. 7 (RN7) Richtung Antsirabe.

Wir werden einige der Sitten und Bräuche der Merina Volksgruppe kennen lernen, aber auch viel über ihren Alltag am Strassenrand. Dieser südliche Teil Madagaskars ist das ganze Jahr über zu befahren.

Über die welligen Hügel des Hochlands bewegen wir uns in Richtung Süden. Das Klima ist angenehm und die Route bietet eine Vielfalt an landschaftlichen Reizen: wir fahren durch die typische Hochlandlandschaft mit den Lehmziegelhäusern in allen Farbtönen. Sie sind mit Gras oder Reisstroh bedeckt. Die sattgrünen Reisfelder unter stahlblauem Himmel und die sanft auslaufenden Gebirgsketten wechseln sich ab mit Gemüse-, Ananas- oder Maniokfeldern. Ab und zu sieht man auch Eukalyptus- und Kieferwälder entlang der Strasse.

Antananarivo-Antsirabe
Nach ein paar Kilometern gelangen wir zum kleinen Städtchen Ambatofotsy, (wörtlich übersetzt heisst das “am weissen Felsen“). Am Rand des Dorfs überqueren wir eine lange Brücke, hier werden frisch gepflückte Erdbeeren und bunte Blumen den vorbeifahrenden Leuten angeboten. Am Fluss breiten die Frauen ihre Wäsche aus und überall qualmt das Holzfeuer der Lehmziegelburgen, in denen die typischen Ziegel gebrannt werden. Zebus ziehen als Arbeitstiere gemächlich ihre Bahnen durch die Reisfelder.

Der Baustil der Häuser ändert sich laufend in Madagaskar, je nach der Region und je nach dem Baumaterial, das die Bewohner zur Verfügung haben. Die Hochlandarchitektur gibt es in Madagaskar erst seit der Einwanderung der Engländer und Franzosen in Madagaskar. Unterwegs bemerken wir, dass die Hochlandhäuser aus Ziegelsteinen einen rechteckigen Grundriss haben und immer in Nordsüdausrichtung gebaut sind. Dies hat mit der klimatischen Anpassung an Wind und Sonneneinstrahlung zu tun. Die Türen und die Fenster liegen auf der westlichen Längsseite, also wo die Sonnenstrahlen vor dem Sonnenuntergang das Haus durchfluten. Dies entspricht genau dem bekannten madagassischen Spichwort: „Wo die Sonne eintritt, kommt kein Arzt herein“.

Wir begegnen den Häusern in allen Farbtönen von braun über ocker und rosa oder rot, je nach der Farbe der erodierten Erdböden im Hochland. Sie fügen sich daher perfekt in die grüne Landschaft ein. Hier im zentralen Hochland sind die Häuser mit den charakteristischen hölzernen Balkonen meist mit Blechdächern gedeckt.

Antananarivo-Antsirabe
Die madagassische Kultur ist noch weitgehend traditionell und wesentlich vom ländlichen Leben und den religiösen Vorstellungen beeinflusst. Auf der ganzen Insel ist es Sitte, dass die Familie vor dem Hausbau den alten Medizinmann (“Mpanandro“) des Dorfes zur Rate zieht. Er ist befähigt, den günstigen Tag für besondere Ereignisse im Alltag, wie die Grundsteinlegung des Neubaus, eine Heirat, den Bau einer Grabstätte oder das Fest für die zweite Bestattung oder “Famadihana“ zu bestimmen. Der Zeitpunkt richtet sich nach der Stellung des Mondes. Diesen Brauch haben die arabischen Einwanderer eingeführt und er hat besonders mit dem arabischen Mondkalender zu tun.


mehr zu PRIORI Reiserouten in unserem Katalog 2021


Nach ein paar Kilometern erreichen wir die nächste, grosse Stadt Ambatolampy, (das bedeutet wörtlich übersetzt “die Stadt in der Nähe der Felsen“). Ein Zwischenstopp lohnt sich hier für jene, die der Herstellung von Alu-Kochtöpfen zuschauen wollen. Die Arbeiter in der handwerklichen Aluminiumgiesserei zeigen, wie Kochtöpfe, Löffel, Gabeln aus gebrauchtem Aluminium hergestellt werden. Die Alutöpfe sind in ganz unterschiedlichen Grössen in jedem Haushalt zu finden. Da die Familien in Madagaskar recht gross sind, kaufen sie immer die grossen Kochtöpfe (Cocotte oder “vilany“ auf madagassisch) von 32 bis 36 cm Durchmesser.

Das Städtchen Ambatolampy liegt schön am Fusse des Ankaratra-Massivs, dem dritthöchsten Gebirge Madagaskars. Bei der Wald- und Fischzuchtstation “Station Forestière et Piscicole de Manjakatompo“, rund sieben Kilometer von der Stadt entfernt, befindet sich der Ausgangspunkt einer erlebnisreichen Wandertour durch diese Berglandschaft bis zum höchsten Gipfel von Ankaratra, der 2640 m über dem Meeresspiegel liegt. Das ganze Jahr über ist der Gipfel mit Nebel bedeckt, daraus auch der Name “Tsiafajavona“ (wörtlich: wo der Nebel immer bleibt). Der Gipfel ist auch ein heiliger Ort, wohin regelmässig die Schamanen (Ombiasy) und die Naturheilkundigen (Mpisikidy) pilgern und Opferzeremonien abhalten. Die Gegend hat eine sehr reiche Flora, aber der Aufstieg bis zum Gipfel bedingt eine gute Kondition.

Antananarivo-Antsirabe
Wir setzen die Reise weiter fort und bemerken sofort die vielen Verkaufsstände entlang der Nationalstrasse Nr 7. Jedes Dorf zeigt seine handwerklichen Objekte: die herrlichen Hand- und Einkaufstaschen oder Hüte aus Naturmaterialen wie Raphia oder Reisstroh stechen sofort in die Augen, die bunten Miniaturfahrzeuge aus Kiefern und Eukalyptusholz oder aus Bierdosen und die selbst gebastelten kunstvollen Tankfahrzeuge, LKWs oder Allradwagen sind den vorbeifahrenden Autos nachempfunden! Die Auswahl ist sehr gross und diese Kunsthandwerke sind schöne Souvenirs oder Mitbringsel aus Madagaskar.

Unterwegs fallen die grossen Familiengräber des Merina Volksstamms am Rand der Strasse auf, einzeln oder in Gruppen, aber meistens ausserhalb der Dörfer oder Siedlungen.

Merina bedeutet: “die aus dem Hochland, von wo aus man weit sehen kann“. Diese Bevölkerungsgruppe ist zahlenmässig die grösste Ethnie Madagaskars, vom Aussehen her klein und zierlich gebaut im Vergleich zu den anderen Ethnien. Man erkennt sofort ihre indonesisch-malaiische Herkunft.

Ahnenwelt und Gräberkult spielen eine grosse Rolle in der madagassischen Kultur. Die Madagassen glauben, dass die Ahnen bzw. die Vorfahren im Jenseits weiterleben. Meistens ist ihr “zweites Haus“ bzw. ihre Grabstätte in der Nähe ihrer früheren Siedlungen. Die Seele der Verstorbenen lebt weiter und wacht über das Leben ihrer Nachkommen.

Alle Familienangehörigen, Grosseltern, Eltern, Onkel, Tanten, Kinder und Enkelkinder werden im Hochland in einer Familiengruft bestattet, so wie das madagassische Sprichwort sagt: „Lebendig im selben Haus, tot im selben Grab“. Grundsätzlich sollte man sich Gräbern nur mit grösstem Respekt nähern und mit der Genehmigung der Dorfbewohner.

Antananarivo-Antsirabe
Wir sind nicht mehr weit von unserem Etappenziel entfernt und kommen zum nächsten Städtchen Ambohimandroso, ein beliebter Rastplatz für die Fahrer der Taxi-Brousse und der Lastwagen. Wir gehen einfach in eine der vielen Garküchen am Strassenrand oder in ein „Hotely Gasy“. Die Ausstattung ist sehr einfach und rudimentär, aber das Essen ist immer frisch zubereitet, schmeckt gut und wird sehr rasch an die Tische serviert. Die Passagiere der Taxi-Brousse haben ja nur etwa eine halbe Stunde Zeit für ihre Verpflegung. Das Menü steht auf einer Wandtafel geschrieben. Zur grossen Portion Reis stehen immer Huhn, Zebu, Schwein oder Fisch zur Auswahl, also eine grosse Fleischauswahl, entweder mit Tomatensauce oder mit verschiedenen Kochgemüsen serviert.

Nach ein paar Kilometern stellen wir fest, dass der Vorort von Antsirabe zur grössten Gemüsekammer Madagaskars gehört. Der Boden ist sehr fruchtbar, alle Arten von Gemüse wie Karotten, Kartoffeln, weisser Kohl, Blumenkohlen gedeihen hier sehr gut. Das frisch geerntete Gemüse in kleinen Körbchen und die diversen Gemüsestapel am Strassenrand sind eine Augenweide für die Fotografen.

Endlich kommen wir in der kühlen Thermalstadt Antsirabe an, sie ist die Stadt der Superlative: die Stadt der schönen Edelsteine, die Stadt des Wassers, ein reizender Kurort und mit sagenhaften Kraterseen. In der Stadt verkehren viele Rikschas und es gibt zahlreiche Handwerksbetriebe und Kunsthandwerker.

November 2020; geschrieben von Koloina PRIORI Antananarivo
Redigiert von Peter Elliker www.madagaskarhaus.ch